Nachtgedanken

Es gibt zwei Marinas in mir. Der Krebs hat mich in zwei Teile geteilt. Die eine davon kennt ihr inzwischen. Die ist optimistisch, fasst in jeder Situation neuen Mut und kann sich schnell an neue Gegebenheiten anpassen. Sie ist dankbar dafür, dass sie noch lebt und macht gerne anderen Menschen Mut, die in ähnlichen Situationen sind. Doch die andere, die kriegen nur meine engsten Verwandten zu sehen. Und manchmal fühle ich mich fast heuchlerisch, weil ich nie mein Komplett-Paket „Marina“ präsentiere, sondern immer nur die weichgespülte, gut gefilterte Seite.

Aber oft sitze ich auch nur da, weine und bedauere meine Situation und wie alles gekommen ist. Bedauere, dass mein Leben nicht mehr so perfekt ist wie es mal war. Dass ich nicht so belastbar und spontan bin wie früher. Die lange Zeit, die ich schon nicht mehr am normalen Leben teilnehmen kann, hat mich so unsicher gemacht, dass ich mich oft selbst dafür hasse. Vor allem wenn ich auf neue Leute treffe, habe ich immer Angst, dass ich deren Erwartungen nicht erfülle. Früher war ich nie so. Und das ärgert mich dann und ich bedauere mich selbst noch mehr.
Ich brauche für jeden selbstständigen Schritt einen Tritt in den Hintern. Während ich auf der einen Seite unbedingt wieder Selbstständigkeit haben möchte, bin ich auf der anderen Seite so unsicher, dass ich doch lieber gerne an der Hand genommen werden möchte. Ich verkrieche mich dann tagelang auf dem Sofa und spiele irgendwelche Spiele und hoffe, dass sich irgendwann alles von selbst regelt.

Ich glaube an Gott. Das hab ich schon immer, meine Familie ist christlich und irgendwie kenne ich das auch gar nicht anders. Aber spätestens seit meinem Rezidiv fühle ich mich kräftig verarscht. Mit der Ersterkrankung konnte ich noch einigermaßen umgehen. Ich dachte ich kann gestärkt heraus gehen und gehe jetzt viel dankbarer durchs Leben und so. Aber wie kann Gott denn so hinterhältig sein, mich ein Jahr lang glauben zu lassen, ich wäre gesund, um mir dann die Normalität wieder zu entreißen? So viele Menschen leben in ihrer kleinen perfekten Welt, wo alles nach Plan verläuft. Warum darf ich nicht normal sein? Warum muss ich mir jeden Schritt zurück in die Normalität so hart zurück erkämpfen?

Ich habe während der Therapie komplett den Bezug zu meinem Körper verloren. Mein extremes Untergewicht und der Haarverlust haben es mir unmöglich gemacht, mich in meinem Körper wohl zu fühlen. Und als Frau hab ich mich sowieso schon gleich gar nicht gefühlt. Es macht keinen Spaß sich zu schminken, wenn die Haare, Augenbrauen und Wimpern fehlen und das Gesicht am Ende doch noch krank aussieht. Oder sich schön anzuziehen, wenn alle Klamotten nur an einem rumschlabbern. Ganz langsam kehrt das Körpergefühl wieder zurück und ich genieße es sehr.

Als Krebskranke fühle ich mich manchmal ausgegrenzt. Natürlich tun die Menschen in meiner Umgebung alles dafür, dass das nicht so ist, aber das geht nicht immer. Manchmal fühle ich mich, als würde ich hinter einer dicken Scheibe sitzen und allen anderen normalen Leuten beim Leben zuschauen. Während ich hier hinter meiner Glasscheibe festsitze und alles in Zeitlupe zu verlaufen scheint, rast das Leben der Anderen vorbei und ich habe das Gefühl, wichtige Lebenszeit sinnlos zu vergeuden. In den insgesamt 3 Jahren, die ich bisher in verschiedenen Chemo-Therapien verbracht habe, hätte ich so viel erreichen können. Stattdessen hab ich lange Zeit nur von Chemo zu Chemo gelebt und mich oft gar nicht richtig getraut, für längere Zeit zu planen.

Es ist alles so zwiespältig. Einerseits möchte ich gerne so schnell wie möglich so normal sein wie möglich. Andererseits genieße ich auch die Aufmerksamkeit und die Gelegenheiten, die sich mir durch die Erkrankung bieten. Ich bin Heißluftballon gefahren, war mit meiner Familie im Musical, war beim Fotoshooting in München, war Backstage bei einem Konzert. Das sind alles superschöne Erinnerungen.

Ich hätte davor nie gedacht, dass sich jemals so viele Menschen für mein Leben interessieren könnten. Durch die Erkrankung bin ich zum Schreiben gekommen und der Blog und die ermutigende Resonanz hat mir geholfen, vieles besser zu verarbeiten. Durch meine Krankheit bin ich was besonderes, ich steche aus der Masse hervor mit meinen Glatzenbildern und Schilderungen aus Welten, die der Otto-Normalmensch nicht kennt. Ich mag diese Aufmerksamkeit. Aber nur zu gerne würde ich sie gegen ein normales, gesundes Leben tauschen.

Und ich kann gar nicht in Worte fassen, wie gerne.

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Über Marina

Mit 20 hab ich ein Rhabdomyosarkom im Fuß bekommen - seither blogge ich über das Leben mit so nem Ding und über die Therapie. Und auch ein bisschen über die Dinge, die sonst so in meinem Leben passieren :)

8 Gedanken zu „Nachtgedanken

  1. Liebe Marina,
    Das finde ich sehr mutig von Dir uns von deinen zwei Marinas zu erzählen!
    Ich danke Dir für Deine Offenheit. Ich kann das gut verstehen was Du damit meinst.
    Wie gern würde ich Dir sagen können, alles wird gut usw.
    Aber das kann ich nicht, da ich es nicht weiß….bzw. Ich weiß Gott wendet (oder auch verwendet) alles zum Guten, da ich es oft erlebt habe, aber ich weiß auch das es nicht immer das “ Gute“ ist was wir uns vorstellen oder überhaupt menschlich gesehen das Gute ist….
    Ich drück Dich virtuell ganz fest und bete weiter für Dich!
    Liebe Grüße
    Mechthild

  2. Hey Marina,

    wirklich ein sehr bewegender Text und ich erkenne mich in vielem, was du so schreibst, selber wieder! Durch die ganzen Rückschläge verliert man immer mehr den Glauben, dass es so jemanden wie Gott überhaupt gibt…

    liebe Grüße

  3. Hi Marina!
    Was du schreibst, das bewegt mich. Und ich glaube, da bin ich nicht die einzige..
    du bist ganz sicher vielen Menschen eine Ermutigung, mit dem was du schreibst und durchmachst. So kann das, was dein Leben in deinen Augen oft so sinnlos macht bei anderen total hilfreich sein – so dass sie ihren eigenen Lebenssinn ein Stück weit wieder finden.
    Das Leben hält oft Hartes für uns bereit. Und Gott verhindert das nicht immer. Aber ich glaube, dass er uns damit nicht allein lässt. Ich glaube, dass es sich lohnt, auf ihn zu vertrauen. Ich glaube auch, dass er es ist, der die Kraft gibt, das alles irgendwie zu meistern. Auch wenn´s schwer fällt – halt fest am Glauben! Ich glaube, dass er dich auf lange Sicht nicht enttäuschen wird.
    Das soll jetzt kein doofer christlicher Trost oder was sein, weil ich mich verpflichtet fühlen würde, was dazu zu sagen. Ich mein es von Herzen, was ich sage und spreche auch als eine, die Gott selbst im Moment nur wenig Vertrauen entgegenbringen kann. Aber irgendwas trägt mich. Und dass du das auch erfährst, das wünsch ich dir!
    Herzliche Grüße
    Larissa

  4. Hallo Marina,

    ein sehr offener und emotionaler Text. Danke.
    Es freut mich sehr, dass es dir insgesamt und auch in den hier speziell beschrieben Fällen immer besser geht!

    LG,
    Benne

  5. Liebe Marina

    ich verfolge deinen Blog seit kurzem und finde es echt klasse von dir wie offen du mit der ganzen Situation umgehst und das du dich Hoffnung noch nicht ganz verloren hast.

    Gib auch deine Hoffnung nicht in Gott auf, er wird dir Helfen aus dieser Situation.

    Selbst als gesunder Mensch glaub man immer man hat kein Perfektes Leben. Aber man muss sich auf jede Situation neu einstellen und versuchen das beste daraus zu machen.

    Ich wünsche dir alles Glück der welt, das du deine Krankheit überwindest und das du dein Leben trotzdem jeden Tag auch mit den kleinen schönen Dingen des Lebens genießen kannst.

    Wir werden für dich Beten 🙂

  6. Liebe Marina,

    das dachte ich dann auch, als ich deinen Post gelesen habe!!!
    Das hast du toll geschrieben und ich finde es super, dass du so offen bist!
    Denke an den Spruch „Spuren im Sand“ und an die Jahreslosung… Ich hoffe dass du bald wieder spürst dass Gott da ist und dich da durch trägt und nicht alleine lässt und dich nicht verarscht.

    Hab dich auch lieb!!!!
    Deine Hanna

  7. Liebe Marina,
    der Herr ist mein Hirte…, glaube fest daran und verzweifle nicht. Du hast keine Lebenszeit verloren, viel geschafft und geleistet!
    Dein Blog und dein Gedankenparkplatz macht Mut und ist Ansporn für viele, gegen diese Krankheit zu kämpfen – du viel erreicht hinter deiner Glasscheibe!
    Vertraue weiter auf Gott und dich – du schaffst es.
    Liebe Grüße

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